Coronapandemie

Ringen um globale Impfgerechtigkeit

08:45 Minuten
Hand hält Fläschchen mit Impfstoff.
Bisher erhalten vor allem die reichen Länder Impfstoff gegen Corona. © picture alliance / Jochen Tack
Von Pia Behme · 11.02.2021
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Viele Politikerinnen und Politiker beteuern, dass Covid-Impfstoffe weltweit fair verteilt werden müssen. Die Plattform Covax will die Sache in die Hand nehmen. Doch kann das funktionieren?
Es soll wie eine Krankenversicherung funktionieren: Alle Länder zahlen ein. Reichere Staaten zahlen mehr, ärmere Staaten zahlen weniger. Aus diesem Fond soll dann gemeinsam in Impfstoffe investiert und sie für alle gleichermaßen zugänglich gemacht werden. So will die Plattform Covax unter der Führung der Weltgesundheitsorganisation, der Impfallianz Gavi und der Forschungsallianz Cepi eine faire Verteilung des Covid-19-Impfstoffes erreichen.
Die einzelnen Länder würden dann nicht miteinander konkurrieren und sich gegenseitig überbieten, sondern ihre Kaufkraft vereinen, was laut Covax wiederum Menschenleben retten und Geld sparen würde. Soweit die Theorie.

Reichere Staaten schließen direkte Verträge

Die Realität der Impfstoff-Verteilung sieht bisher anders aus. Reichere Staaten schließen direkte Verträge mit den Pharma-Unternehmen, somit ist weniger Impfstoff auf dem Markt, den Covax kaufen und an ärmere Staaten verteilen könnte.
Edwin Ikhuoria ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation ONE für den afrikanischen Kontinent. Für ihn kommt diese Strategie der Industriestaaten unerwartet.
"Ich verstehe, dass Regierungen ihre eigene Bevölkerung zuerst schützen wollen. Und wenn es eine Krankheit wäre, die nur in ein bis zwei Ländern auftritt – das wäre vielleicht noch verständlich. Aber bei einer Pandemie, von der die ganze Welt betroffen ist, da ist es Selbstbetrug, wenn reiche Länder glauben, dass sie sich schützen, wenn sie nur sich selbst impfen."

Vulnerable Menschen weltweit zuerst impfen

Covax will bis Ende des Jahres zwei Milliarden Impfdosen verteilen. Jedes Land soll genügend Dosen erhalten, um 20 Prozent der eigenen Bevölkerung zu impfen. Das reicht nicht, meint Ikhuoria.
"Covax bringt die Idee einer globalen Verteilung gerade voran. Aber 20 Prozent der Bevölkerung? Was ist das schon? Im Vergleich zu der Zahl der Menschen, die betroffen sind."

Die NGO ONE setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Menschen weltweit Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen. Um jetzt in der Pandemie allen zeitnah zu helfen, braucht es eine umfassende globale Herangehensweise, so Ikhuoria.
"Eine gerechte Verteilung wäre, wenn wir uns fragen, wie bekommen wir den Impfstoff zu den vulnerabelsten Menschen zuerst – überall auf der Welt."
Das hieße, dass zuerst grenzübergreifend die Risikogruppen geimpft werden würden. Und erst, wenn das weltweit abgeschlossen ist, wäre die nächste Impfgruppe an der Reihe. Ganz ohne nationale Alleingänge.

Menschenrechtsvereinbarungen als Grundlage

"Die Idee ist gar nicht so utopisch, weil wir uns auf diese Prinzipien schon geeinigt haben." Katrina Perehudoff arbeitet am rechtswissenschaftlichen Institut für Gesundheit und Leben der Universität Amsterdam. Die Prinzipien von denen sie spricht, sind die Vereinbarungen von Ländern und Unternehmen zusammenzuarbeiten und denen zuerst zu helfen, die es am dringendsten brauchen.
"Das sind gemeinsame Werte, die schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in vielen anderen internationalen Menschenrechtsverträgen stehen, zu denen sich 170 Regierungen verpflichtet haben. Die Grundlage ist also da."

Patentregelungen verringern Produktionskapazitäten

Was dagegen noch fehlt, ist ausreichend Impfstoff. Bevor der überhaupt gerecht verteilt werden könnte, muss er erstmal produziert werden. Hier sehen viele die größte Hürde für einen fairen, globalen Zugang. Die meisten Pharmaunternehmen machen von ihrem Patentschutz Gebrauch und teilen das Rezept für den Impfstoff nicht mit anderen Produktionsstätten.
"Hier werden Profite gemacht von Impfstoffen, die absolut lebensnotwendig sind für die Weltbevölkerung als Ganzes. Keiner von uns ist sicher, bis wir alle geimpft worden sind. Diese weltweite Verteilung wird durch die Verengung von Produktionskapazitäten, durch Patente verhindert", sagt Shalini Randeria. Die Sozialanthropologin ist unter anderem Professorin am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf.
Ohne den Patentschutz könnte das Rezept für die Herstellung geteilt werden und mehr Impfstoff produziert werden. Randeria fordert, dass Impfstoffe ein globales, öffentliches Gut sein sollten.

Befeuert der Patentschutz Innovationen?

Thomas Cueni, Generaldirektor des Internationalen Pharmaverbands, sieht das anders. Patenschutz mache vieles erst möglich, sagte er auf einer virtuellen Pressekonferenz im Mai.

"Wir wären nicht da wo wir jetzt sind, ohne Patentschutz. Und die Unternehmen tun schon alles, was man sich von ihnen erhoffen würde: Partnerschaften, die Bereitschaft, das Risiko einzugehen, sich zu vergrößern – und alles, was man sich von ihnen wünschen kann."
Das Argument, dass es dann keine Innovationen mehr geben würde, weil es ohne Patente an finanziellen Anreizen für die Pharmaunternehmen fehlen würde, weist Randeria zurück. Die Firmen selbst würden ohnehin kaum in Forschung investieren.
"Die Tatsache, dass die Impfstoffe zu 90 bis 100 Prozent aus öffentlichen Mittel finanziert werden beziehungsweise durch Universitäten oder durch die Mitwirkung privater philanthropischer Stiftungen finanziert werden, ist für mich daher wirklich genügend Grund, darüber grundsätzlich nachzudenken, ob auf Impfstoffe Patenten vorhanden sein sollen, denn die Innovation findet nicht aus eigenen Händen der Pharmaindustrie statt."

Staaten können Patentschutz aussetzen

Ein Unternehmen kann freiwillig anderen erlauben, seinen Impfstoff herzustellen. Das passiert laut Katrina Perehudoff eher selten. Der Patentschutz kann in Ausnahmefällen aber von Regierungen ausgesetzt werden. Eine Pandemie wäre so ein besonderer Fall.
Aber wenn Patentrechte durch Regierungen aufgehoben werden müssen, wie gerecht sind sie dann überhaupt noch?
"In dieser Krise ringen wir wirklich mit diesen Regeln, die in einer anderen Zeit gemacht wurden. Jetzt in der Pandemie sehen wir, dass sie zu einer ungerechten Verteilung führen. Also sind die Patentrechte gerecht? Ich glaube, das ist die große Debatte unserer Zeit."

Forschung und Impfgerechtigkeit

Es geht aber nicht allein um Produktion und Verteilung. Auch die Forschung könnte zu einem einfacheren weltweiten Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten beitragen, sagt Edwin Ikhuoria von der Nichtregierungsorganisation ONE.
"Wenn wir eine globale Forschungsagenda hätten, deren Zielgruppe alle auf der Welt sind, dann würden wir Produkte entwickeln, die in verschiedenen Kontexten anwendbar sind. Und selbst wenn dabei ein Produkt herauskommt, das bei minus 70 Grad gekühlt werden muss, dann würde man darüber nachdenken, wie man es trotzdem überall zur Verfügung stellen kann. Das wäre ein umfassender Plan"
Damit spielt er auf den Impfstoff von Biontech und Pfizer an, der bei minus 70 Grad Celsius gelagert werden muss. Eine eher kleine logistische Herausforderung für Deutschland, ein Ding der Unmöglichkeit.
"Kann ein Impfstoff wie der von Moderna oder Biontech, das bei minus 70 Grad gekühlt werden muss, eigentlich für Länder in Afrika oder Lateinamerika als ein geeigneter Impfstoff betrachtet werden? Denn wir haben gar nicht die Kühlkapazitäten, die Gesundheitsinfrastruktur, die Logistik, die notwendig wäre, um so einen Impfstoff zu verabreichen."
Im vergangenen Jahr hatten Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation WTO gefordert, die Patente der Pharmafirmen aufzuheben. Weit mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten unterstützen den Vorschlag. Länder wie Deutschland, Norwegen und die USA, wo die führenden Covid-19-Impfstoffe entwickelt werden, halten allerdings dagegen. Im März soll die Forderung erneut diskutiert werden.
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